Geliebte Eltern.
Ich haben den Brief vom 27. December erhalten, und daraus ersehen, das Charlotte den Herrn entschlafen ist, was doch einmal
das beste Los für Sie war, die Gesundheit wieder zu erhalten, war kein Gedanke an.
Wie ich gelesen habe in dem letzten Brief,
so sollte ich Euch schreiben, was es Neues gibt hier zu Lande. Hier in Amsterdam passiert jeden Tag was neues, wie und auf
welche Weise viele Menschen hier das Brod verdienen, könnt Ihr Euch keinen Begriff von machen. Hier ist Alles übertrieben,
jeder kann treiben was er will. Hier sind mehr denn über 200 Bäckereien, ein jeder Handwerker läuft hier mit
seinen Sachen auf der Straße herum und bietet es den Leuten zu kaufen was ich noch nirgends so gefunden habe. Geht man
über die Straße so wird man überfallen von ein Dutzend Stiefelputzern, der eine will sie noch lieber putzen
wie der andern, was nicht allein kleine Jungens sind, sondern große verheirathe Leute, die da mit Frau und Kinder von
leben müßen.
Es ist berechnet, daß im Durchschnitt hier 600 Menschen jede Woche sterben, man mag kommen in
welcher Straße man will über all fahren die Todtenwagen. Sehr viele Verkrüppelte sieht man laufen, welche
Schaden am Beine haben, daß macht der ungesunde feuchte Boden, die Frauensleute vom kleinsten Kinde bis zur
ältesten Mutter tragen dicke Wollenunterhosen, um die feuchten Ausdünstungen aus der Erde zu verhindern.
Starken Frost haben wier hier noch nicht gehabt, mehrsten Zeit Regen und Nebel. Der Nebel fällt bis weilen so stark,
daß es am hellen Tage stock finster ist, so daß man keine drei Schritt weit sehen kann, wo häufig
große Unglücksfälle durch entstehen, denn kreuz und quer geht das Wasser durch die Stadt, was hier
Grachten genannt wird, so daß bei den starken Nebel die Leute nicht sehn können, wo sie gehen, und laufen so zum
Wasser hinein, wo sie den Todt finden. Da wird sich wenig ausgemacht, ob hier ein Mensch versäuft oder bei Euch zu
Lande eine Maus, das steht sich gleich.
Einigen Leute sind hier, die wohl über 200 - 300 Stück Eselinnen haben, wo sie weiters nichts mit thun als
daß sie zweimal im Tage damit nach den Reichen Herrschaften ziehen. Die werde da gemolken und die Milch bei Glas
weise verkauft. Die trinken die reichen Leute zur Gesundheit des morgens nüchtern und gegen Mittag ein Glas voll
Eselmilch, wie bei Euch die Schnapsgläser sind, wo für 4 Pfennige Brantwein ein geht, kosten nicht mehr wie 5 - 6
Mariengroschen.
Von der einen Seite der Stadt schaut man in die wogende See, und von der andern Seite hat man Land wo lauter Windmühlen
stehen, Wassermühlen sind hier nicht. Ein Dorf liegt zwei Stunde von hier, da stehn 199 Windmühlen. Sie haben
mehrnmal schon eine dabei gebaut, daß 200 voll werden sollten, denn ist auf der ander Stelle wieder eine abgebrandt
oder der Wind hat sie umgeweht, so daß es nur 199 blieben. Jetz sind sie angefangen und bauen drei mit einmal. Es
sind mehrsten Teils Sägemühlen, wo das Schifferholz geschnitten wird, und einige Kornmühlen. Das Dorf
heißt Sandam (Zaandam). Man kann von hier mit ein Dampfschiff hinfahren, viele große Schiffe werden da
gebaut.
Roggen und Weitzen steht nicht hoch im Preise. 1 Sack Polichen Weitzen 260 Gulden.
Ich arbeite an der Prinzengracht auf der Ecke von der Paserdergracht bei einem Meister namens Schulte. Ich bringe Brod mit
der Mant und mit einem Handwagen auch herum. Ich verdiente die ersten beiden Monate 12 Gulde jetzt verdiene ich 10 Gulden
den Monat.
Hiermit muß ich Schließen. Zum ausgehen ist zu schmutzig, es hat den ganzen Tag geregnet. Ich dachte,
sollst mal einen Brief schreiben nach Remsede. Jetz wird es Zeit, das ich mich zu Bett [begebe], das Glockenspiel läutet halb
fünf. Heute abend 10 Uhr geht die MorgenSonne auf für mich bis morgen Nachmittag 4 Uhr, so geht’s die ganze Woche
durch. Des Sonntag wird in Amsterdam nicht gebacken. Ich hoffe, daß ich Euch mit meinem Schreiben bei guter Gesundheit
antreffen werde, was mich anbetrifft bin ich noch recht munter und gesund.
Viele Grüße an Fritz und Frau
Sommerkamp
Schmid Schowe
Es grüßt Euer Sohn Louis Meyer