Louis Meyer berichtet aus Amsterdam

Ludwig "Louis" Meyer zur Capellen, geb. 1837 in Remsede, von Beruf Bäcker, zieht es in die weite Welt. Er schreibt Briefe aus Hamburg, Amsterdam und Woolwicks bei London, bevor er angeblich nach Amerika ausgewandert ist. Bislang konnte ich seine Spur in Amerika noch nicht finden. Hier sein Brief aus Amsterdam, in dem er sehr eindrucksvoll aus dieser Stadt berichtet.

Ich habe mir erlaubt, die Grammatik etwas der heutigen Schreibweise anzupassen - insbesondere habe ich Kommas und Punkte eingefügt - damit der Text für heutige Leser einfacher zu verstehen ist.

Amsterdam den 29ten Januar 1859
Geliebte Eltern.

Ich haben den Brief vom 27. December erhalten, und daraus ersehen, das Charlotte den Herrn entschlafen ist, was doch einmal das beste Los für Sie war, die Gesundheit wieder zu erhalten, war kein Gedanke an.

Wie ich gelesen habe in dem letzten Brief, so sollte ich Euch schreiben, was es Neues gibt hier zu Lande. Hier in Amsterdam passiert jeden Tag was neues, wie und auf welche Weise viele Menschen hier das Brod verdienen, könnt Ihr Euch keinen Begriff von machen. Hier ist Alles übertrieben, jeder kann treiben was er will. Hier sind mehr denn über 200 Bäckereien, ein jeder Handwerker läuft hier mit seinen Sachen auf der Straße herum und bietet es den Leuten zu kaufen was ich noch nirgends so gefunden habe. Geht man über die Straße so wird man überfallen von ein Dutzend Stiefelputzern, der eine will sie noch lieber putzen wie der andern, was nicht allein kleine Jungens sind, sondern große verheirathe Leute, die da mit Frau und Kinder von leben müßen.

Es ist berechnet, daß im Durchschnitt hier 600 Menschen jede Woche sterben, man mag kommen in welcher Straße man will über all fahren die Todtenwagen. Sehr viele Verkrüppelte sieht man laufen, welche Schaden am Beine haben, daß macht der ungesunde feuchte Boden, die Frauensleute vom kleinsten Kinde bis zur ältesten Mutter tragen dicke Wollenunterhosen, um die feuchten Ausdünstungen aus der Erde zu verhindern.

Starken Frost haben wier hier noch nicht gehabt, mehrsten Zeit Regen und Nebel. Der Nebel fällt bis weilen so stark, daß es am hellen Tage stock finster ist, so daß man keine drei Schritt weit sehen kann, wo häufig große Unglücksfälle durch entstehen, denn kreuz und quer geht das Wasser durch die Stadt, was hier Grachten genannt wird, so daß bei den starken Nebel die Leute nicht sehn können, wo sie gehen, und laufen so zum Wasser hinein, wo sie den Todt finden. Da wird sich wenig ausgemacht, ob hier ein Mensch versäuft oder bei Euch zu Lande eine Maus, das steht sich gleich.

Einigen Leute sind hier, die wohl über 200 - 300 Stück Eselinnen haben, wo sie weiters nichts mit thun als daß sie zweimal im Tage damit nach den Reichen Herrschaften ziehen. Die werde da gemolken und die Milch bei Glas weise verkauft. Die trinken die reichen Leute zur Gesundheit des morgens nüchtern und gegen Mittag ein Glas voll Eselmilch, wie bei Euch die Schnapsgläser sind, wo für 4 Pfennige Brantwein ein geht, kosten nicht mehr wie 5 - 6 Mariengroschen.

Von der einen Seite der Stadt schaut man in die wogende See, und von der andern Seite hat man Land wo lauter Windmühlen stehen, Wassermühlen sind hier nicht. Ein Dorf liegt zwei Stunde von hier, da stehn 199 Windmühlen. Sie haben mehrnmal schon eine dabei gebaut, daß 200 voll werden sollten, denn ist auf der ander Stelle wieder eine abgebrandt oder der Wind hat sie umgeweht, so daß es nur 199 blieben. Jetz sind sie angefangen und bauen drei mit einmal. Es sind mehrsten Teils Sägemühlen, wo das Schifferholz geschnitten wird, und einige Kornmühlen. Das Dorf heißt Sandam (Zaandam). Man kann von hier mit ein Dampfschiff hinfahren, viele große Schiffe werden da gebaut.

Roggen und Weitzen steht nicht hoch im Preise. 1 Sack Polichen Weitzen 260 Gulden.

Ich arbeite an der Prinzengracht auf der Ecke von der Paserdergracht bei einem Meister namens Schulte. Ich bringe Brod mit der Mant und mit einem Handwagen auch herum. Ich verdiente die ersten beiden Monate 12 Gulde jetzt verdiene ich 10 Gulden den Monat.

Hiermit muß ich Schließen. Zum ausgehen ist zu schmutzig, es hat den ganzen Tag geregnet. Ich dachte, sollst mal einen Brief schreiben nach Remsede. Jetz wird es Zeit, das ich mich zu Bett [begebe], das Glockenspiel läutet halb fünf. Heute abend 10 Uhr geht die MorgenSonne auf für mich bis morgen Nachmittag 4 Uhr, so geht’s die ganze Woche durch. Des Sonntag wird in Amsterdam nicht gebacken. Ich hoffe, daß ich Euch mit meinem Schreiben bei guter Gesundheit antreffen werde, was mich anbetrifft bin ich noch recht munter und gesund.

Viele Grüße an Fritz und Frau
Sommerkamp
Schmid Schowe

Es grüßt Euer Sohn Louis Meyer

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